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Eine Weihnachtsgeschichte

"Minka die Weise werde ich genannt. Blind sind meine Augen geworden, meine Krallen stumpf. Keinen Zahn habe ich mehr in meinem Maul, kann keiner Maus mehr gefährlich werden, so viele Mondwechsel habe ich schon gesehen, so viele Sommer und Winter. Worüber ich euch aber berichten möchte, hat sich viele, viele Mondwechsel vor meiner Zeit zugetragen. Zu der Zeit nämlich, als die Zweibeiner in der Heimat unserer Ahnen begannen, Hütten zu bauen und Getreide anzupflanzen. Als unsere Ahnen beschlossen, ihr unabhängiges Leben mit den Zweibeinern zu teilen; war doch unser Tisch in ihrer Nähe stets reich gedeckt von den Scharen fetter Mäuse, die in ihren Kornkammern hausten. Ach, das waren goldene Zeiten!
Auch die Ahnin hatte die Gesellschaft eines Zweibeiners gefunden. Mosche wurde er von den Seinen gerufen, wie sein Urahn, der die Zweibeiner in dieses Land gebracht hatte. Aus Ägypten kamen sie, dem Land, in dem wir Katzen verehrt wurden wie Götter. Ägypten, das Land unserer großen Mutter Bastet.
Nur wenige Güter nannte Mosche sein Eigen, einige Schrittlängen Acker, auf denen er Korn anbaute und ein mageres Öchslein. Kaum reichte es ihm, um die Münder seiner Kinder zu stopfen, die so zahlreich waren, wie die der Mäuse, von denen die Ahnin lebte. Doch nirgends sonst wäre sie mehr geachtet worden als dort, hing doch von ihrem Fleiß das Wohl und Wehe der Familie ab! Zu Zeiten, da viele Zweibeiner das Land bereisten, gab Mosche ihnen Obdach und Nahrung und von den Münzen, die die Herbergsgäste daließen, konnte er wieder Hoffnung schöpfen, die Seinen einen weiteren Mondwechsel lang zu erhalten.
Einmal kamen so viele Reisende, dass alle Betten der Herberge besetzt waren, selbst in den Betten der Familie schliefen die Gäste. Da klopften des Nachts ein Mann und eine Frau an die Tür, die hatten kein Geld und nichts, womit sie hätten bezahlen können, nur das, was sie am Leibe trugen, so bettelarm waren sie. Die Frau bat: "Sei barmherzig und gib uns Obdach nur für diese Nacht. Wir haben ja nichts womit wir dir's vergelten können, nur mit dem Segen der Höchsten des Universums. Aber unser Weg war weit und meine Zeit ist gekommen, nur um einen Platz wo ich entbinden kann, bitten wir dich. Morgen, bevor die Sonne aufgeht, ziehen wir weiter."
Mosche, der Wirt, antwortete: "Ich kann euch keinen Platz bieten, ihr Armen, es ist ja nichts mehr frei in der Herberge. Aber legt euch in den Stall zum Öchslein, dort habt ihr's warm und geschützt. Da magst du in Frieden dein Kind zur Welt bringen."
Die Ahnin sah und hörte alles und da auch für sie die Zeit war, niederzukommen, schlüpfte sie in den Stall zu der Fremden, um mit ihr die Schmerzen und Wonnen jenes Wunders zu teilen, das da heißt, einem Wesen das Leben zu schenken.
Nicht lange und der Stall hallte wider vom Gewimmer der Neugeborenen. Die Zweibeinerin hatte ein Söhnchen zur Welt gebracht, die Ahnin derer fünf, alles Tigerchen wie sie selbst. Der Mann war stumm geworden vom Wunder der Geburt und selbst das Öchslein staunte.
Doch es war bitterkalt in dieser Nacht, die Sterne funkelten am klaren Himmel und der Rauhreif glitzerte im Mondlicht wie lauter kleine Sternchen, die zur Erde gefallen waren. Der Säugling schrie vor Kälte und der Zweibeiner weinte, weil er nichts hatte, die erschöpfte Mutter und ihr Kind zu wärmen. Die Ahnin sah die Not der Mutter und Mitleid ergriff ihr Herz, war sie doch selbst so viele Male Mutter gewesen und eben wieder. So packte sie sacht ihre Brut und trug sie allesamt zum Futtertrog des Öchsleins, in dem der Säugling lag. Eines nach dem anderen legte sie ihre Kinder zu dem kleinen Wesen in der Krippe und schmiegte sich zum Schluss selbst dazu. Der Zweibeiner wurde böse und wollte die Ahnin vertreiben, doch die Frau hinderte ihn daran. So lag der Säugling die ganze Nacht wohlbehütet an den Zitzen der Ahnin, die wärmte ihn mit ihrem Körper und ihr Spinnen war sein Wiegenlied.
Als es Morgen wurde, erhob sich die Fremde erquickt vom Schlummer und sprach zu der Ahnin: "Sei gesegnet, du himmlisches Wesen. Dein großes Herz hat meinem Sohn das Leben gerettet in seiner ersten Nacht auf dieser Erde. Dich und alle deine Nachkommen will ich unter meinen persönlichen Schutz stellen bis an das Ende aller Zeiten." Und sie küßte die Ahnin und drückte ihr sanft ihr Zeichen zwischen die Augen. Seit dieser Zeit tragen wir Tigergefleckten das große "M" auf der Stirn und wenn man ganz genau hinsieht, kann man auch bei den Andersfarbigen die feinen Scheitel des Abdruckes erkennen, den die zarten Finger hinterlassen haben.
Maria hieß nach der Überlieferung die göttliche Mutter und ihr zu Ehren trage ich meinen Namen, Minka.
Gesegnet seid ihr, vierbeinige Gefährtinnen und Gefährten des Menschen! Und ihr, Zweibeiner, wenn ihr in diesen Tagen das Fest dse Wunders feiert, dann erinnert euch an eure treuen Hüter, die Katzen!"

Danke an Mooncat für die tolle Geschichte! (November 2003)