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Kater Tom und sein Freund, der blaue Trabant!

Es ist ein wunderschöner Herbsttag. Die untergehende Sonne schimmert golden durch das bunte Laub. Die Straßen sind ruhig, denn es ist Zeit, Feierabend zu machen. Die Leute ziehen sich in ihre Häuser zurück und freuen sich auf einen gemütlichen Abend. Hier und da gehen die Lampen an. Das ist die Zeit für Kater Tom und seinen allabendlichen Streifzug.
Er ist gern um diese Zeit auf der Straße, beobachtet die Vögel, die Käfer und alles, was da kreucht und fleucht. Welche Freude ist es, durch das raschelnde Laub zu springen oder einem bunten Blatt, das der Wind vor sich her treibt, nachzujagen. Die Mäuschen verkriechen sich wohlweislich in ihre sicheren Löcher und überlassen für einige Zeit das Terrain diesem verspielten Hans Dampf.
Kater Tom hat ein helles Ohr und ein offenes Auge, manchmal hört und sieht er sogar Dinge, die noch niemand sonst wahrgenommen hat. Es ist, als würden die Tiere und Pflanzen mit ihm reden, ja sogar die Steine erzählen ihm ihre Geschichte - man muß nur genau hinhören.
Horch!
Schluchzt da nicht jemand?
Wo kommt das her?
Vom nahegelegenen Parkplatz, auf dem sich viele Autos von ihrer anstrengenden Tagesarbeit ausruhen?
Kater Tom geht dem Geräusch nach, langsam bewegt er sich auf den Platz zu. Da! Er sieht, wie gerade eine dicke Träne aus den kullerrunden großen Augen eines himmelblauen Trabbis rollt. Leise, ganz leise setzt er sich zwischen die Autos und lauscht ihren Gesprächen. Sie haben nichts dagegen, sie kennen Kater Tom.
"Hallo, kleiner Blauer, warum weinst du so bitterlich?" fragt neben ihm ein dicker Mercedes mit gutmütiger tiefer Stimme.
"Ach, du großer stolzer Wagen mit deinem blinkenden Stern, du siehst so vornehm aus, in deinem Bauch ist so viel Platz und schön kühl ist es bei dir sicher auch, wenn die Sonne auf dein Dach prasselt. Dich mögen die Menschen ganz bestimmt", antwortet der kleine Trabant traurig.
"Aber das ist doch kein Grund zum Weinen", flüstert da ein Citroen, der eigentlich schon seine Augenlider heruntergeklappt hatte, um sich auf die Nacht vorzubereiten.
"Wer bist du denn ?" fragt der Blaue. "Einen, der seine Augen auf- und zuklappen kann, habe ich überhaupt noch nicht gesehen!"
"Ich bin in Frankreich geboren", berichtet er stolz.
Der kleine Trabant wird immer trauriger, die Tränen kullern ihm nur so aus dem Gesicht, seine Stimme wird leiser und leiser. Da meldet sich ein Toyota besorgt. Aus seinen schmalen Schlitzäuglein blinzelt er dem traurigen Trabbi aufmunternd zu: "Nun sag uns doch, welcher Kummer dich plagt, vielleicht können wir dir helfen!"
"Ihr könnt mir nicht helfen, das könnten nur die Menschen. Aber die sehen gar nicht, wie traurig ich bin. Vor wenigen Jahren gab es auf unseren Straßen nur mich und meinen großen Bruder, den Wartburg und nur selten ein paar Ausländer, wie du Franzose oder du Japaner es seid. Die Leute feierten ein richtiges Fest, wenn sie mich zu sich nach Hause in die Garage fahren durften. Sie nahmen mich in die Familie auf, wir waren die besten Freunde. Manche bauten sich eine Datsche oder sogar ein Haus, dann half ich ihnen, die schweren Steine, Farbeimer und viele andere Dinge nach Hause zu transportieren. Ach, war das manchmal schwer! Aber ich habe mich immer toll angestrengt, Auch wenn meine Beine schon ganz schief wurden. Es waren doch meine Freunde, denen ich helfen wollte. Dafür wurde ich dann auch am Wochenende blitzblank geputzt und dann durfte ich mit ihnen ins Grüne fahren, manchmal nahmen sie mich sogar mit in den Urlaub. Ach, war das schön", schluchzte das kleine Auto und Kater Tom spürte, wie schwer ihm das Herz wurde. "Aber nun", setzte der Trabbi sein Erzählung fort, "gibt es so viele große und schöne Autos, daß die Menschen mich ganz und gar vergessen. Inzwischen bin ich zwar alt geworden und kann auch keine schweren Lasten mehr transportieren, aber einen Freund stellt man doch nicht so einfach irgendwo am Straßenrand oder auf einem Parkplatz ab. Schon viele Tage und Wochen ist niemand mehr zu mir gekommen. Und was noch viel schlimmer ist:
Jetzt lachen sie auch noch über mich! Als wenn ich ihnen nicht immer geholfen hätte! Dieser Spott tut mir am meisten weh. Wir waren doch immer Freunde! Sind nur alle Menschen so, daß sie einen Freund einfach wegwerfen, wenn sie einen neuen haben? Ich kann es nicht glauben!"
Alle wurden still. Sie konnten den Schmerz des Kleinen verstehen, sind sie doch selbst so gern unterwegs und freuen sich, wenn die Menschen stolz auf sie sind. Sie wußten aber auch nicht, wie sie ihren kleinen Freund trösten sollten.
Tommys Herzchen schlug immer schneller, so sehr erregte ihn diese Erzählung. Er konnte sich nicht vorstellen, wenn seine besten Freunde Heike und Ingolf nichts mehr von ihm wissen wollten. Bei ihnen ist er zu Hause und kuschelt sich im Winter gern mit ihnen in eine Sofaecke.
Könnte das wirklich einmal zuende sein?
Nicht auszudenken!
Jedenfalls will ich genau aufpassen, daß nicht eines Tages ein schönerer Kater auf meinem Sofa liegt, denkt er so bei sich. Ich werde mich auch immer schön putzen, dann werden die beiden schon mit mir zufrieden sein.
Aber der Kater hat ein sehr empfindsame Seele und der Trabbi tut ihm furchtbar leid. Er möchte ihm unbedingt helfen. Da kommt ihm eine Idee.
"He, du armer Blauer, warte, ich bin gleich wieder zurück", flüstert er dem Trabant ins Ohr, um den Citroen nicht wieder zu wecken, dessen Augenlider nun endgültig zugefallen sind.
Kater Tom hatte am frühen Morgen beobachtet, daß Kathi auf ihrem Schulweg ihren wunderschönen bunten Malkasten verloren hatte, gleich hier neben dem Parkplatz.
Eigentlich wollte er Kathi heute Nachmittag hierher führen, hatte es aber über all seinen Spielideen wieder vergessen.
Nun kann dieser Malkasten ihm helfen, den kleinen Trabant wieder zum Lachen zu bringen.
Tommy schleppt die Farben zum Parkplatz neben eine große Pfütze. Jetzt macht er die Pfötchen naß, taucht sie in verschiedene Farbnäpfchen und springt auf den Blauen. Diesen Vorgang wiederholt er viele Male, immer wieder und immer wieder - und so wird das blaue Kleid des traurigen Trabant in kurzer Zeit bunter und bunter.
Kater Tom wird richtig müde bei dieser Arbeit, der Trabant läßt es mit sich geschehen, ohne den Sinn so richtig zu verstehen. Tommy geht heute nicht nach Hause, dazu ist er viel zu müde, sondern kuschelt sich zufrieden in die Sitze des Bunten und schläft ebenfalls ein.
Kurz nach Sonnenaufgang kommen die Kinder auf ihrem Weg zur Schule am Parkplatz vorbei und entdecken diesen wunderschönen Trabbi. Sie laufen lärmend zu ihm hin, bestaunen ihn fröhlich von allen Seiten, streicheln ihn und versprechen, nach der Schule wieder zu kommen und ihn noch mehr zu schmücken. Auf einmal werden die tollen großen Autos neben ihm überhaupt nicht mehr beachtet. Der Trabbi versteht die Welt nicht mehr, ihm laufen wieder die Tränen aus den noch verschlafenen Augen. Aber diesmal sind es Freudentränen.
Von nun an sind Kater Tom und der kunterbunte Trabant die besten Freunde. Tommy rollt sich gar zu gern behaglich schnurrend auf seine Sitze und der Trabbi lauscht stolz auf die Gespräche der lachenden Spaziergänger, die immer wieder die bunten Katzenpfötchen auf seinem Rücken bestaunen. Nun ist er wieder richtig glücklich, auch wenn er keine weiten Reisen mehr unternehmen kann.
Er ist doch nicht ganz vergessen!

Danke an Waltraut (April 2003)