Geschichten, die direkt ins Herz treffen | zurück | sitemap | mail | home |


Menschen als solche - ein Erfahrungsbericht von Sheila von Nagezahn
Liebe Artgenossinnen und Artgenossen,

wir haben uns heute im Rahmen der jährlichen Messe "Du und Dein Mensch" zu einem "menschlichen" Erfahrungsaustausch getroffen. Als erste Rednerin wird Sheila uns von den Eigenarten ihrer Menschen erzählen. Sicher werdet Ihr manches aus Euren eigenen Erfahrungen wiedererkennen, anderes ist vielleicht neu. Bitte, Sheila.
Vielen Dank, Kater Vorsitzender.

Menschen sind so unstet. Gestern lag ich auf den Holzbrettern unseres Balkons in der Sonne - Holz wärmt sich so schön auf in der Sonne - und sah meinem Menschenweibchen zu. Sie stand da und wechselt schon wieder ihr Fell. Dabei hatte sie das doch morgens erst gemacht, und am Abend vor dem Schlafengehen würde sie es wieder tun. Nur weil man das Fell wechseln kann, muß man das doch nicht gleich täglich oder gar mehrmals täglich tun, oder? Jedenfalls schien das Fell, das sie nun übergestreift hatte, zu klein oder fehlerhaft zu sein, denn die Teile, die eigentlich die Vorderbeine abdecken sollten, fehlten, waren nicht vorhanden. Außerdem war es viel zu kurz, ab der Hüfte glänzte das Fell durch Abwesenheit. Das kann doch nicht gesund sein!

Und dann immer dieses ewige Hin und Her. Wenn meine Menschen beide zuhause sind, ist es am schlimmsten. Ständig rennt einer von einem Raum in den anderen, von dort wieder in ein anderes Zimmer, und der andere Mensch läuft gleichzeitig, aber in anderer Reihenfolge durch die Räume.
Wenn sie sich dann endlich irgendwo hingesetzt haben, dauert es nicht lange bis mindestens einer von ihnen wieder aufsteht. Genauso machte sie das gestern auch wieder: läuft vom Wintergarten (das ist so eine Art großer, überdachter Balkon) ins Schlafzimmer und zurück. Dann ins Wohnzimmer und zurück. Und dann wieder ins Schlafzimmer. Und jedesmal trägt sie ein Ding in der Hand, anstatt alles auf einmal zu erledigen.

Endlich saß sie. Dachte ich. Denn sogleich stand sie wieder auf um noch irgendein blödsinniges Ding zu holen, das sie immer auf ihre Hinterbeine legt und ständig mit ihren Tatzen und Krallen bearbeitet. Sie behauptet dann immer, sie würde schreiben, aber von meinen früheren Menschen weiß ich, daß das nicht mit solchen Ungetümen geht, sondern nur mit diesen langen dünnen Dingern, die sie in ihre Tatzen zwängen. Ich glaube, sie nennen das "Stift" oder so ähnlich. Dieses große, viereckige Ding, mit dem sie angeblich schreibt, ist zum Aufklappen, und Geräusche macht es auch manchmal, als wolle es ihr etwas sagen. Sie antwortet aber nie. Mir antwortet sie immer, auch wenn ich meist nicht verstehe, was sie sagt. Ist Euch auch schonmal aufgefallen, daß Menschen unwahrscheinlich undeutlich miauen?

Was ich aber wirklich nicht verstehe, ist, daß Menschen manchmal für mehrere Tage verschwinden. So haben das meine beiden auch vor kurzem gemacht. Statt ihrer war dieses junge Weibchen hier, das mich gefüttert und gekrault hat. Sie hat übrigens auch mein Klo gereinigt, sie muß so eine Art Angestellte der beiden sein. Sie war sehr nett, aber eines Tages ging sie weg und kam nicht wieder. Dafür war dann der männliche meiner beiden Hausmenschen wieder da, und einige Tage später kam auch das Weibchen zurück.

Und was die beiden erzählt haben, als das Weibchen wieder zuhause war! Als hätten sie sich ein halbes Leben nicht gesehen, dabei war es nur eine Woche. Und als die beiden endlich fertig waren, haben sie mir schier unglaubliche Dinge berichtet. Sie haben erzählt, daß sie in einem sehr weit entfernten Land gewesen seien, das so weit weg ist, daß man fliegen muß um dort hinzugelangen. So ein Blödsinn! Hat man so etwas schon mal gehört, daß Menschen fliegen können? Ich bitte Euch: Das sind doch keine Vögel. Aber bitte, ich gönne ihnen ihre lebhafte Phantasie, also habe ich sie nicht unterbrochen und still in mich hineingekichert.

Aber zurück zu ihren Erzählungen. Dieses weit entfernte Land, in das sie gereist sind, kann nicht besonders groß sein, denn sie waren innerhalb von sieben Tagen an drei verschiedenen Orten, doch nur der letzte ist für uns von Interesse. In der Stadt, sie nannten sie Tel Aviv, haben sie sehr viele Katzen gesehen, die auf der Straße lebten und sich mehr schlecht als recht von den Essensresten der Menschen ernährt haben. Die meisten unserer dortigen Artgenossen boten ein gar jämmerliches Bild:
halbverhungert, verlaust, oft verletzt. Dort machen sie wohl auch schlechte Erfahrungen mit Menschen, die sie immer wieder von der wenigen Nahrung, die sie finden, verjagen, denn sie sind sehr scheu und machen einen großen Bogen um Menschen.

Einige der dortigen Katzenrechtsorganisationen haben vor ein paar Jahren gemeinsam mit den Anführern der Stadt einen Plan ausgeheckt, wonach sogenannnte "Antibaby-Pillen" verteilt werden sollten, damit die Katzen nicht mehr trächtig werden. Ebenfalls nachgedacht wurde über die Zwangssterilisation der Katzen sowie der Kater, was aber aus Geldmangel wieder verworfen wurde. Vielleicht hätten sie ja lieber Antiwelpen-Pillen nehmen sollen, denn scheinbar hat es nicht funktioniert. Allerdings wußten meine beiden Menschen nicht, ob der Plan jemals in die Tat umgesetzt worden ist, denn die Anzahl der verwilderten Hauskatzen schien eher gestiegen als gesunken zu sein im Vergleich zu damals, als der Plan ausgedacht worden war.

Die beiden erzählten aber auch, daß es unter den dort lebenden Menschen sehr viele Katzenfreunde gibt. So haben sie beispielsweise eine Frau beobachtet, die Essen für alle Katzen der Gegend extra zubereitet und sogar auf Teller verteilt hat. Jede Katze und jeder Kater, egal ob jung oder alt, bekam dort eine Mahlzeit. Sie hat sogar umstehende Menschen verscheucht und sie angefaucht, sie sollten die Katzen nicht erschrecken. Abgesehen von ihrem bedauernswerten Zustand, sollen die dort ansässigen Katzen sehr schön sein. Meine Menschen waren ganz begeistert, als sie von ihren langen Beinen, dem schmalen Kopf und der langen Nase erzählt haben. Sie waren kurzhaarig und hatten kein Unterfell, denn dort ist es wohl ziemlich heiß das ganze Jahr über. Mit meinem dichten Unterfell würde ich vermutlich keinen Tag dort in der Hitze überleben.

Wir, die wie die Maden im Speck leben und Menschen haben, die immer für unser Lieblingsessen sorgen, die unser Klo reinigen (Stellt Euch vor, die Katzen in Tel Aviv müssen immer auf öffentliche Toiletten gehen, die noch nicht einmal gereinigt werden!) und uns manchmal mehr Aufmerksamkeit schenken als ihrem eigenen Nachwuchs, sollten uns solidarisch zeigen mit unseren leidenden Mitkatzen. In Zusammenarbeit mit den hiesigen und den dortigen Katzenhilfsorganisationen haben wir ein Lebend-Maus-Spendenkonto eingerichtet. Am Ausgang steht von jetzt an dauerhaft eine Kiste, in die Ihr Eure Mausspenden legen könnt. Bitte habt Verständnis, daß wir nur lebende Mäuse annehmen können. Außerdem werden jeden letzten Dienstag im Monat hier Informationsabende stattfinden, bei denen wir Euch über den aktuellen Stand dieser Spendenaktion auf dem laufenden halten werden.

Vielen Dank für Eure aufmerksame Geduld. Miau.

© Angelika Vollmar