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Die ägyptische Geschichte
Der dicke schwarze Kater hatte eine tolle Erfindung gemacht, nein - eigentlich hatte es sich irgendwie ergeben: Er konnte mir nichts dir nichts in das Fernsehgerät hinein gelangen und sozusagen in einem Fernsehabenteuer mitspielen. Das war sehr auf- und anregend, vertrieb die Langeweile, die früher geherrscht hatte, wenn sein Frauchen tagsüber die Brötchen und sein Fressi verdiente. 
Ein bisschen Abwechslung hatte es auch früher immer mal gegeben, wenn cat-sitting angesagt war. Da sein Frauchen auch hin und wieder Urlaub machen wollte, musste für seine eigene Unterbringung gesorgt werden, andererseits musste das Frauchen dann auch mal fremde Katzen in den Haushalt aufnehmen. Eine Hand wäscht die andere - wie überall im Leben.

Es war mal wieder soweit: Bützchen wurde abgeliefert zusammen mit einem Riesenkorb an Futterdosen. Auch seine Decke kam mit, auf die er sich zu retten pflegte, solange er noch fremd in der Wohnung war und solange es dem dicken schwarzen Kater noch Spaß machte, ihn zu ärgern. Was Bützchen sich gefallen lassen musste, denn diese Wohnung war schließlich das Revier des dicken schwarzen Katers.

Diesmal fiel dem Dicken erst gar nicht ein, das Bützchen schikanieren zu wollen. Nein, er brannte darauf, dem dummen gestreiften Vieh seine neueste Unterhaltung zu zeigen. Kaum waren sie am Morgen allein, weihte er ihn ein. Natürlich glaubte Bützchen ihm kein Wort.
"Du spinnst doch", sagte er kühn, "wir haben zu Hause auch so einen Kasten, aber weder meine Leute noch ich waren jemals drin. Immer nur davor."
"Hast du es denn mal versucht?"
"Nein, eigentlich nicht."
"Was heißt hier eigentlich nicht? Ja oder nein?"
"Nein"
"Hast du denn Lust, es mal zu versuchen?"
"Eigentlich nicht."
"Hör auf mit eigentlich, ja oder nein?"
"Eigentlich nein."
"Jetzt langt es aber, entweder du machst mit, oder du sitzt den ganzen Tag allein hier. Ich hau jedenfalls jetzt ab." 
Bützchen machte ein unschlüssiges Gesicht, Langeweile in einer fremden Wohnung war nicht gerade wünschenswert.
"Also gut."
"Komm, stell dich neben mich, damit wir gleichzeitig rein gehen können."
Das Gerät mit einem Tippser auf den richtigen Knopf angeschaltet, und ...

Der dicke schwarze Kater leckte sich verlegen sein Fell, die vielen Leuten ringsherum irritierten ihn gewaltig. Aber verdammt, was war mit seinem Fell geschehen? Gestreift. Wie Bützchen. Wo war Bützchen überhaupt? Wer war er überhaupt? Und wo?
Der dicke gestreifte Kater lag auf einer sonnenbeschienenen Mauer und blickte auf die Menschenmenge hinweg auf die Prozession. Feierlich gekleidete Männer trugen auf etwas, das aussah wie ein Brett einen prunkvollen Kasten. Die Menschen riefen oh und ah, demnach musste der Kasten etwas ganz Besonderes sein. Oder vielmehr das, was drin war.
Jetzt wusste der Kater es wieder, darin war die Mumie der vor ein paar Wochen verstorbenen Bastetkatze. Er hatte sie nicht gekannt, natürlich nicht. Sie war im Tempel aufgewachsen und er hier im Handwerkerviertel. Aber dafür lebte er und sie war tot.
Jetzt folgte ein offener Tragsessel. Eine zarte junge Frau saß darin und auf ihrem Schoß schlief auf einem roten Kissen die neue Bastetkatze. Das leichte Schwanken hatte sie in den Schlaf gewiegt. Dem Kater fielen fast die Augen aus dem Kopf: das war doch Bützchen. Unsinn, wie kam er auf Bützchen, das war Ipi, sein Spielkamerad aus dem Nachbarhaus. Wie kam der denn auf das rote Kissen? Eine große Ehre, Bastetkatze zu sein, ja schon, aber wirklich wünschenswert?
Der Kater rief hinüber, aber die Katze auf dem Kissen schlief weiter. Hinten in seinem hintersten Gehirn dachte der Kater: Was mach ich bloß, wenn ich den nicht wieder mit zurückbringe? Wie soll ich erklären, wo er geblieben ist?
Die Prozession zog weiter, der Kater leckte nervös seine gestreifte Pfote. Dann sprang er von seiner Mauer und versuchte, durch die vielen Beine, die da herumstanden, dem Weg der Prozession zu folgen. Das war nicht einfach, aber dann fiel ihm ein, dass er ja wusste, wo der Tempel der Bastet war. Er machte einen Umweg durch das jetzt menschenleere Handwerkerviertel und lief in Richtung zum Nil. Er rannte durch den grauen getrockneten Schlamm, dass es nur so staubte. Als er am Tempel ankam, hörte er schon den Hörnerklang der nahenden Prozession. Dicht gedrängt standen hier die Tempeldiener, die würden ihn nicht durchlassen.
Am liebsten hätte er jeden Einzelnen in die Waden gebissen, aber das hätte nichts genutzt, sie hätten ihn eingefangen und in den Hof gebracht, in dem die Streuner betreut wurden. Von da bis zum innersten Tempel war es weit.
Die Prozession war da, im ersten Hof wurde der Gong geschlagen. Jetzt musste er sich beeilen. Mit einem großen Satz sprang der Kater hinein in die Prozession, lief hinter den Bläsern her. Niemand würde ihn hier herausholen, das hätte das feierliche Bild gestört. Die Tempeldiener wisperten zwar miteinander, aber vielleicht hielten sie es für ein Zeichen, dass eine Katze mitlief in der Prozession der Bastet.
Am ersten Tor des Tempels standen ein Priester und eine Priesterin, sie hielten Weihegefäße in ihren Händen. Vorsichtig warfen sie duftende Körner über die gemessen schreitenden Menschen. Auch der Kater bekam etwas davon ab und empfand den Duft als besonders angenehm. Nun war er drin im Tempel und musste nicht länger feierlich schreiten. Der Kater war tief beeindruckt und fast schon verängstigt. Solche Riesenräume gab es im Handwerkerviertel nicht. Die Wände in dem Haus, in dem er wohnte, waren gerade mal so hoch wie ein Mensch. Sie waren aus Lehmziegeln, grau und rau, zum Schärfen der Krallen natürlich wunderbar geeignet. Und der Innenhof war nicht entfernt so groß wie dieser hier.
Vor dem Tor zum nächsten Hof waren auf langen Tischen Brote und Früchte aufgehäuft, daneben standen Kannen und Becher. Damit sollten die einfachen Leute, die den größten Teil der Prozession gebildet hatten, beköstigt werden.
Der Kater schlich sich an der Wand entlang zum nächsten Hof. Der war noch leer. Große Tücher waren auf dem Boden ausgebreitet. An den Wänden rechts und links standen sich zwei Statuen gegenüber und starrten sich feierlich an. Bastet, die Erhabene und ihr anderes Ich, Sekhmet, die Grausame.
Hierher würden nur wenige Menschen kommen. Die Priester, die Leute mit der Truhe und die mit der Sänfte. Und Ipi natürlich mit seiner Priesterin. Ob er inzwischen aufgewacht war? Ob er ihm etwas zurufen könnte? Dicht neben sich hörte er ein leises Geräusch, er drehte sich blitzschnell herum - Ipi.
"Ipi, wie bist du denn entkommen?"
"Wie, entkommen? Mich hat niemand gejagt, ich bin schon länger hier, um mir mal in Ruhe den Tempel anzusehen."
"Aber, aber", stammelte der dicke Kater "ich habe dich doch in der Prozession gesehen."
"Quatsch, die kommt doch erst."
Der dicke Kater stupste Ipi mit dem Kopf in die Seite.
"Was bin ich froh, dass du das nicht bist auf dem Schoß der Priesterin. Die Katze sieht aber auch genau so aus wie du. Die Ärmste, sie wird hier gehalten wie eine Gefangene, Verehrung hin oder her."
"Ja, mit der Freiheit ist es aus. Aber die Ehre! Die Verehrung! Die weichen Kissen, das gute Essen."
"Ach, das neide ich dem armen Ding nicht, satt geworden sind wir doch immer noch. Solange wir in der Nähe der Getreidespeicher wohnen, wird das auch so bleiben."
Einträchtig saßen sie nebeneinander und waren zufrieden.

Jetzt wurde der Sarkophag mit der Katzenmumie hereingetragen, die Männer stellten das Traggestell vor der steinernen Bastet ab. Befangen und mit gesenkten Augen gingen sie zurück in den ersten Hof. Danach kamen die Sänftenträger, stellten die Sänfte vor der zweiten Figur ab und gingen einer nach dem anderen hinaus.
Die junge Priesterin blieb in der Sänfte sitzen, sie wartete auf die anderen Priesterinnen, die sie herausheben sollten. Schließlich hatte sie das große Kissen mit der Katze auf ihrem Schoß und konnte nicht ohne Hilfe aufstehen. Nun nahten die anderen aus dem dunklen Allerheiligsten, schritten langsam auf die Sänfte zu, um die Katze und ihre Hüterin in Empfang zu nehmen. Die ersten beiden verneigten sich vor dem Tier in der Sänfte, das sie aus müden Augen anblinzelte. 
Als eine der beiden die Hände ausstreckte, um das Kissen anzuheben, sprang die Katze - gar nicht mehr müde - vom Kissen herunter und flitzte ganz unzeremoniell davon.
Die Feierlichkeit verflog, alle schrieen durcheinander, bis Alati, die das Kissen immer noch auf dem Schoß hatte, mahnte, Ruhe zu bewahren. Die Menschen im ersten Innenhof durften nicht merken, was passiert war. Und sie merkten auch nichts, denn die Katze war sofort unter den Tischen verschwunden, schnell war sie vor dem ersten Tor, lief zum Nil hinunter. Ihr kleiner goldener Ohrring blinkte im Sonnenlicht.

"Die Tore schließen" befahl jetzt die Älteste der Priesterinnen, Maret. Mit einem letzten Rest von Selbstbeherrschung schritten zwei der Priester zum Tor und schoben die schweren Tore von rechts und links zur Mitte hin. 
Es war still geworden, Alati saß noch immer in der Sänfte, sie weinte. Das Kissen war zur Seite geglitten und lag auf dem Boden. Maret hob es auf und hielt es vor ihren Bauch gepresst. Was nun ?
Erst einmal war das Schlimmste abgewendet, die Entdeckung. Bis zum Abend hatten sie jetzt Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Dann allerdings würde die Prinzessin kommen, um dabei zu sein, wenn die Mumie beigesetzt würde. Sie würde die neue Bastetkatze begrüßen, ihr Geschenke bringen wollen. Alle hier waren von den Geschenken und dem Wohlwollen der Prinzessin abhängig, sie brauchten die Gaben der Herrschenden, um zu überleben. Zu hungern brauchten sie nicht, das kleine Landgut, das zum Tempel gehörte, lieferte alles mögliche. Aber die Gewänder sollten demnächst erneuert werden, auch neue Gefäße mussten angeschafft werden.
Maret winkte den Ältesten der Priester, Nibiset, heran. Sie wollte sich mit ihm beraten. Ihre kleinen braunen Hände griffen nach seinem Arm, sie zog ihn mit sich fort in eine Ecke der Hofes.
"Komm mit mir, Nibiset, wir müssen überlegen, was zu tun ist. Wir kommen hier nicht raus, ohne dass die Leute draußen aufmerksam werden."
"Und bei unseren Streunern ist keine, die diesem Biest ähnlich genug ist."
Die beiden gingen dicht an der Wand entlang, ihre langen Gewänder streiften den dicken Kater, der unter die Tücher gekrochen war. Beinah hätten sie ihn mit ihren Sandalen getreten. Aber das hätte er hingenommen, ohne zu mucksen. 
Ipi hingegen war nicht so vorsichtig. Gerade jetzt guckte sein schmaler Kopf hinter der Säule hervor, die den Eingang zum Allerheiligsten begrenzte. 
"Da, Nibiset, sieh mal, da ist sie wieder!"
"Wo?"
"Da, neben der Säule."
Der dicke Kater hielt die Luft an. War dieser Ipi dämlich genug, sich jetzt zu zeigen? Er musste doch mitbekommen haben, worum es ging. 
Er war dämlich genug, kam auch noch näher - und schwapp, hatte ihn Nibiset beim Kragen. Hielt ihn hoch und rief:
"Gerettet! Da ist sie wieder."
"Aber nein, Nibiset, das ist sie nicht. Kein Ohrring, außerdem ein Kater."
"Sieht aber genau so aus, oder?"
Die anderen Priesterinnen und Priester kamen herbei, wisperten durcheinander und lachten vor Erleichterung. Ipi versuchte zu entkommen, aber Nibiset hielt ihn an seinem Nackenfell fest.
"Findet ihr nicht, dass da eine Ähnlichkeit ist?"
"Ähnlichkeit? Das ist sie."
"Ach was, das ist ein Kater, seht ihr das denn nicht?"
"Man könnte ihn doch ...."
"Unsinn, in zwei Stunden ist die Prinzessin hier."
"Aber wir können ihm auf jeden Fall schnell einen Ohrring ins Ohr zwicken."
"Ja, das geht", entschied Maret und seufzte tief auf.
"Alati, hör mit dem Heulen auf und komm her. Hol die Ohrringe, damit wir ausprobieren können, welcher am geeignetsten ist."
Alati lief so schnell sie konnte ins Allerheiligste, wo die Schätze aufbewahrt wurden. Sie hatte viel gut zu machen.
Der dicke Kater hielt es nicht länger aus, immer wieder traf ihn ein beschuhter Fuß. Er schob sich langsam in Richtung der Wand. Niemand sah ihn, Ipi war der Mittelpunkt ihres Interesses. Unter dem Tragsessel mit dem kleinen Sarkophag fühlte er sich endlich sicher, duckte sich aber trotzdem so tief wie möglich in die seidenen Tücher, die den Boden bedeckten.

Jetzt war eingetroffen, was er vorhin befürchtet hatte. Sie hatten Ipi in den Fängen. Auch wenn die Prinzessin nachher wieder gegangen war, würden sie ihn nicht freilassen. Nicht bevor sie eine andere Katze gefunden hatten. Dann hatte der arme Kerl ein Loch im Ohr und vielleicht passierte noch Schlimmeres. Sein dicker Kopf wollte platzen, so sehr überlegte er, was er tun konnte, um Ipi zu retten.
Inzwischen hatte Alati einen kleinen Korb mit Kostbarkeiten aus dem Tempelschatz geholt. In der Eile war ihre Perücke nach hinten geglitten, ihre eigenen schwarzen Haare schauten hervor. Alle dachten das gleiche: eine niedliche kleine Person war das. Sie konnten ihr nicht böse sein. Maret richtete die Perücke und nahm ihr dann den Korb ab. Ihre mollige kleine Hand suchte nach einem leichten schönen Ohrring.
Nibiset hielt immer noch den Kater auf dem Arm, streichelte ihn und grub seine dicke Nase in sein Fell. Er hatte darüber nachgedacht, was sie mit ihm machen konnten, damit die Prinzessin nicht merkte, was geschehen war.
"Maret, am besten wird es sein, wir geben ihm von dem Kraut, das auch die Bastetkatze bei der Prozession beruhigt hat."
Aber - Wasser oder Fleisch und die Arznei waren nicht zur Hand. Sie waren draußen in den Nebenräumen.
"Einer von uns oder vielleicht zwei - das sieht besser aus - muss hinaus und die Sachen besorgen."
"Sebeth und Nefer, ihr beiden nehmt die goldenen Gefäße zur Hand und tragt sie feierlich hinaus. Dann bringt ihr die gefüllten Schalen und das Arzneigefäß hierher."
"Und kein Wort zu irgendwem!" mahnte Nibiset.
Zwei Priester schritten zum Tor, öffneten es und schritten in den Hof, in dem jetzt die Teilnehmer an der Prozession Brot und Früchte bekommen hatten. Niemand beachtete also die beiden, die langsam zu den niedrigen Gebäuden südlich des Tempels gingen. Ebenso unbemerkt kamen sie mit einem großen Weidenkorb zurück in den zweiten Hof.

Dort war Ruhe eingekehrt. Alati saß wieder in ihrem Tragsessel, Ipi lag auf dem großen Kissen, das sie auf ihrem Schoß hatte. Er genoss es, von ihrer zarten Hand gestreichelt zu werden. Was den dicken Kater teils neidisch, teils skeptisch machte. Würde Ipi überhaupt hier fort wollen? Wollte er selbst es denn? Hier war es spannend, nicht so langweilig wie in seiner Wohnung. Trotzdem döste er ein unter den Tüchern, das Wispern wirkte ausgesprochen einschläfernd. Aber es währte nicht lange.
Der volle Ton von zwei Trompeten erschallte. Das Tor zum zweiten Hof wurde geöffnet. Auf einem prächtigen Tragsessel wurde Prinzessin Karoma hereingetragen. Zwei der Priester halfen ihr auf den Boden. Die schmale Gestalt in dem hauchdünnen Gewand trug ein wundervolles Halsgeschmeide, das im Licht der eben entzündeten Fackeln glitzerte. Sie wandte sich zu den  Dienerinnen, die sie begleiteten. Mit beiden Händen griff sie nach einem großen Kissen, das eine von ihnen trug.
"Hier bringe ich ein Kissen für die alte Bastetkatze, damit sie weich gebettet auf den Tag ihrer Auferstehung warten kann."
Das Kissen für die Mumie der Bastetkatze war über und über mit Goldfäden verziert, es war noch weit schöner als das Kissen für die vorige Bastetkatze, dachte Maret. Ja, sie standen in Gunst bei der Prinzessin.
Der dicke Kater verstand kaum, was die Prinzessin sagte, so zart war ihre Stimme. Und so zart waren ihre Hände. Die konnten streicheln, dachte er bei sich und starrte sehnsuchtsvoll zu ihr hin.
Dann fuhr ihm allerdings der Schreck in seinen dicken Bauch. Prinzessin, Dienerinnen und Priester kamen auf ihn zu. Jetzt ist es aus mit mir, dachte er, aber sie sahen nicht auf ihn sondern auf etwas, das oberhalb von ihm war. Ach ja, der Sarkophag mit der Mumie. Gut, dass nur wenige Fackeln im Hof entzündet waren. 
Zwei Priester öffneten den Sarkophag, hoben die kleine Mumie hoch und legten das Kissen, das ihnen die Prinzessin reichte, auf den Boden. Vorsichtig wurde der Deckel wieder aufgelegt, die Beisetzung konnte beginnen. Die Schritte entfernten sich, der dicke Kater öffnete seine Augen wieder ganz und sah, dass alle zur gegenüberliegenden Wand gingen.
Unterhalb der Sekhmet-Statue waren inzwischen die Tücher entfernt worden, große flache Steine wurden aufgehoben und zur Seite gelegt. 
Anrufungen und Gebete begleiteten die feierliche Handlung der Beisetzung. Der Sarkophag wurde heruntergelassen, die Steine wieder aufgelegt und die Tücher darüber gebreitet. Noch ein leises Gebet und die Prinzessin wandte sich zu den Priesterinnen.

Maret, die Älteste und Alati, die Jüngste geleiteten die Prinzessin zum Eingang des Allerheiligsten, in dem es noch dunkler war als hier im Hof. Aber die Priesterinnen, die dort schon versammelt waren, entzündeten auf ein leises Kommando hin weitere Fackeln.
Auf dem großen Stein direkt vor der Kultbarke lag auf seinem Kissen Ipi. In seinem linken Ohr der zeremonielle Ohrring, sein Gesichtsausdruck fremd, ausgesprochen hoheitsvoll. Rechts und links von ihm standen jetzt Maret und Alati mit ehrfurchtsvoller Miene, die Arme gekreuzt und bereit, sich vor der Prinzessin tief zu verbeugen. Die Prinzessin trat auf den Altar zu und blickte auf die Bastetkatze.
"Schönste aller Katzen, Bastet. Ich grüße dich an diesem Ehrentag. Ich bringe dir Gold und Juwelen und bitte um deine Fürsprache. Bringe diesem Tempel und der ganzen Stadt Frieden und Glück."
Der dicke Kater war näher gekommen, niemand beachtete ihn. Alle starrten auf die Prinzessin und auf die Körbe, die die Dienerinnen vor dem Altar abgestellt hatten. Die Prinzessin winkte Maret und diese befahl den Priestern, die Körbe in den Hintergrund des Raumes zu tragen.
Zwei Priesterinnen traten hervor und reichten der Prinzessin einen goldenen Kelch. Sie nahm ihn entgegen und trank einen winzigen Schluck. Dann stellte sie den Becher vor der Bastetkatze nieder.
"Ich danke euch dafür, dass ihr der Bastetkatze dient, damit dient ihr dem Frieden und haltet den Krieg von uns fern."
Niemand wagte es jetzt, die Prinzessin anzusehen, die Köpfe blieben leicht geneigt.
War das üblich, oder hatten sie Angst, der Prinzessin ins Gesicht zu sehen? fragte sich der dicke Kater. Die echte, erwählte Bastetkatze war verschwunden, die göttliche Ordnung war gestört, das konnte nichts Gutes bringen. Bastet selbst war beleidigt worden, indem man einen Kater anstelle der Erwählten auf den Altar gehoben hatte. Dem dicken Kater sträubte sich das Fell. Rückwärts schob er sich wieder unter die Tücher unterhalb der Bastetstatue. Ängstlich blinzelte er hinüber zu der anderen Statue, Sekhmet. Aber ihr Löwenantlitz schaute weiterhin starr und majestätisch geradeaus. Nur ihr Schatten war groß und bedrohlich geworden.

Prinzessin Karoma schritt zurück zu ihrem Tragsessel, ihre Dienerinnen hielten jetzt Weihegefäße in den Händen, Geschenke der Bastet an die Prinzessin. Das Tor wurde geöffnet, der Besuch war beendet. 
Die Priesterinnen und Priester hätten aufatmen können, aber ihre Unruhe blieb. Aus dem Allerheiligsten hörte man ein leises Wispern, die Fackeln wurden gelöscht, einige wurden in den Hof gebracht. Niemand wollte die Geschenke sehen, niemand kümmerte sich um Ipi. Der lag noch immer halb betäubt auf seinem Prunkkissen und wollte nichts als endlich schlafen.

Alati richtete sich plötzlich auf, sie schien etwas zu hören. Jetzt hörten es alle. Ein dumpfes Grollen wie von einem Löwen, der hungrig ist.
"Sekhmet," schrie Maret, "sie will uns bestrafen!"
Alle warfen sich zu Boden, wurden hin und her gestoßen. Das Grollen kam von überall her, kam aus der Erde, die im Innersten zerriss. Die Mauern hielten nicht stand, knirschend und polternd stürzten sie zusammen. Der dicke Kater erhielt einen Schlag auf den Kopf.


Und erwachte auf dem Teppich in seinem Wohnzimmer.
"Das war aber aufregend, was, Bützchen?" fragte er und drehte sich herum, um zu sehen, wo Bützchen gelandet war.
"Bützchen?"
"Bützchen, wo bist du?"
Er war nicht da.
Wie sollte sein Frauchen das ihrer Freundin Christel erklären, wenn sie kam, um ihr Bützchen abzuholen? Über den Balkonrand gestürzt und dann benommen weggelaufen? 
Der dicke schwarze Kater begann nachzudenken. Was war denn passiert in dem Film, aus dem er eben herausgeflogen war? Ein Mauerbrocken hatte ihn bewusstlos geschlagen. Aber da, wo Bützchen zuletzt gewesen war, waren keine einfachen Mauern, das Allerheiligste war aus dicken Steinquadern erbaut. Diese Mauern hatten bestimmt gehalten und die Decke war fest verankert. Wenn er zurückginge, um Bützchen zu holen?

Die Szenerie war verändert. Es war dunkel, es roch nach verbranntem Tuch und gelöschten Fackeln. Die Wand, an der die Statue der Bastetkatze gestanden hatte, war fast völlig zusammengefallen, die Statue zerbrochen. Sekhmets Seite war unversehrt, aber die Statue stand jetzt auf dem Boden, direkt über dem Grab der letzten Bastetkatze. Vor ihr lagen die Priester auf den Knien und baten um Gnade. Aus der Ferne hörte man Rufen und Schreie. Die Stimmen kamen näher, niemand wagte es, das Tor zu öffnen.
Maret erhob sich endlich, schob mit großer Mühe einen Torflügel zur Seite und trat den Menschen entgegen.
"Ein großes Unglück ist über uns gekommen," sagte sie mit leiser Stimme.
"Ja, wir haben das Grollen gehört, das Wanken der Erde gespürt," sprach eine würdige alte Frau, die am Tag im Tempel Dienst tat.
"Nichts ist passiert in der Stadt, es ist wie ein Wunder, wir wollen der Bastet danken."
Verwirrt wich Maret zurück. Statt der erwarteten Vorwürfe nun Dankgebete.
"Wartet einen Augenblick, ich hole die anderen."
Sie kam in den Hof zurück und sprach mit den beiden ältesten der Priester. Alle erhoben sich und schritten zum Tor um den Dank der Menschen für Bastet entgegenzunehmen. Nur Maret und Alati blieben zurück.
"Wie ist das möglich?" fragte Alati die Ältere.
"Bastet ist gerecht, nur wir haben gesündigt, die Menschen draußen traf keine Schuld."
"Wie können wir Sekhmet besänftigen?"
"Indem wir den Tempel wieder herrichten, indem wir eine neue Bastet-Statue aufrichten und indem wir unsere Sünde bereuen."
Maret legte ihren Arm um die schmalen Schultern der Jungen.
"Lass es dir eine Lehre sein."

Der dicke Kater war schon auf der Schwelle zum Allerheiligsten. Ipi-Bützchen schlief. Mit einem Satz war der Kater oben auf dem Kissen und biss ihn in den Nacken.
"Wach auf, Bützchen, wir müssen hier weg. Sonst musst du für alles, was passiert ist, büßen."
"Wofür soll ich büßen?" nuschelte Bützchen.
"Ach, komm, das erzähl ich dir später, jetzt müssen wir abhauen."
Er zerrte Bützchen von seinem Kissen und seinem Altar herunter, schob ihn vor sich her und dachte plötzlich daran, dass sie nicht eher nach Hause konnten, bis der Film zu Ende war.
Aber das konnte nicht mehr lange dauern, das Happy End kündigte sich bereits an. Die Priester sangen, das Volk sang, die Tempelruinen lagen im Licht der aufgehenden Sonne -
und der dicke schwarze Kater lag friedlich neben Bützchen und beide schliefen artig, als Frauchen nach Hause kam.

Herzlichen Dank an Anne!