Geschichten, die direkt ins Herz treffen  

Witwe Mau

Werter Murr, ich mach' mir Sorgen.
Blieb es mir doch nicht verborgen,
wie Sie sich ob einem schieren
Missverständnis echauffieren.
Diese Art von Reaktion
spricht der hohen Meinung Hohn,
welche ich, die an Sie dachte,
Ihnen stets entgegenbrachte.
Nun, es kann ja durchaus sein,
dass Sie, einsam und allein,
trotz gewisser Geistesgaben
nicht viel Damen-Umgang haben.
(Sicher, Frauen seh'n sie munter,
doch sind Damen kaum darunter.)
So - nun also zur Erhellung
folgt erst mal die Richtigstellung.
Jedem ist es wohlbekannt,
dass in puncto Fellgewand
ob am Land, ob in der Stadt
keiner mehr als eines hat.
Darum pflegen wir es peinlich,
tragen Sorge und sind reinlich.
So fällt auch der ganze Chic
in die Reinlichkeitsrubrik,
also unter die Kultur.
(Sie verstanden Mammon nur.)
Und - es mag Sie überraschen -
um das Glück sich zu erhaschen,
sollte eines man bedenken:
Es bringt weiter, gern zu schenken.
Nein, durchaus nicht materiell
- daran denken Sie zu schnell -
Jeder schenke, der gescheit
aufmerksame Zweisamkeit.
Dazu ich zum Beispiel zähle,
dass man nicht das Schlimmste wähle,
um's vom andern zu vermuten.
Ja, ich sag' es mal im Guten,
gleich grad' Trunksucht unterstellen,
bringt nicht viel in solchen Fällen.
Doch an mich verschwenden Sie
ohnehin die Liebesmüh -
ich gönn' gern Sie der Frau Zeller:
Die ist schwärzer und wirkt schneller.
Will wer eine zweite Chance,
üb' er sich in Contenance,
denn Substanz statt blosser Schau
präferiert die Witwe Mau.


Danke an Ingrid (veröffentlicht im Juni 2003)

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